von Michael Rüsenberg / Jazzcity
Seit vier Jahren ist er als Flötist des WDR Sinfonieorchesters pensoniert, das Bundesverdienstkreuz hat er (2015), was kann jetzt noch kommen? Ein Doktortitel vielleicht?
Sosehr er ihm auch zustünde, ein honoris causa allemal, die Zeit wird knapp. Und er nutzt sie, auf ihm vertraute Weise, er spielt z.B. als Aushilfe im Gürzenich Orchester und freut sich wie dolle.
Das Vergnügen darüber ist ein kleiner Teil der großen Erzählung „Das Loft wird 30“. Denn Hans-Martin Müller (noch 66) ist es bestens gelungen, sein Lebenswerk zukunftsfest zu machen.
Sein Lebenswerk, das Loft, war dem britischen Guardian 2016 als einer der „10 besten Jazzclubs Europas“ zu Ohren gekommen. So ungenau wie die Angabe „beer €3 half litre“, so ungenau ist die Charakterisierung als „Jazzclub“. Denn wer den dritten Stock einer früheren Parfümfabrik in Köln-Ehrenfeld erklommen hat, trifft dort in der Tat zunächst auf einen Ausschank.
Aber was er zu hören bekommt (und was der neue Slogan „beyond mainstream“ nur lauwarm einfängt), enteilt mehr noch als im nahen Stadtgarten in Richtung Avantgarde (die Schnittmenge mit dem Straight Ahead Jazz im neu eröffneten King Georg dürfte Null sein).
Im Loft spielen, heißt für viele Musiker, inbesondere Kölner, etwas ausprobieren können. Experimentelle Musik, als Begriff kaum noch gebräuchlich, hat hier einen Ort. Zum Beispiel beim Jubiläumskonzert Dietmar Bonnen´s „12 Tones for 9 Musicians“, worin nur dem Schlagzeuger die Zeitachse des Kompositionsrahmens bekannt ist.
Im Loft spielen, heißt für die allermeisten auch: wenig Einkommen erzielen. Denn alle spielen auf Eintritt. Und dennoch drängen sie, von Absolventen des Jazzseminars an der Kölner Musikhochschule, die hier ihre Bachelor- und Masterkonzerte geben, bis zu Alexander von Schlippenbach, der auf der alljährlichen Dezember-Tournee das Loft nicht auslassen kann. Nils Wogram, Hayden Chisholm, Pablo Held, Jonas Burgwinkel, Robert Landfermann, jüngst Janning Trumann sowie fast alle 20 Träger des Kölner Jazzpreises – die post-„Jazzhaus“-Generation des Kölner Jazz ist im Loft gestartet (und später auch im Stadtgarten heimisch geworden).
Das Loft veranstaltet an die 220 Konzerte im Jahr; seit es sie gibt, seit 11 Jahren, wird es dafür mit der Spielstättenprämie des Landes NRW ausgezeichnet, 2019 waren das 20.000 Euro.
Mit der ähnlichen Auszeichnung des Bundes, mt „Applaus“, gab es groteske Probleme, das Loft bewirbt sich nicht mehr, es kann sich nicht mehr bewerben. Der Grund ist ein erfreulicher: ein Betriebskostenzuschuß der Stadt Köln (ein Ausschlußkriterium für „Applaus“). Er ist 2019 auf 100.000 Euro gewachsen.
Und nun wird´s familiär, systemisch-familiär. Die Unterstützung der Stadt erlaubt, die in 2017 eingerichtete halbe Stelle für einen künstlerischen Betriebssleiter nunmehr auf eine volle aufzustocken. Urs Benedikt Müller (noch 37), der sich dort warmgelaufen hat, hat sie jetzt übernommen. UBM ist promovierter Biologe, nach 15 Jahren verlässt er die Naturwissenschaft, um sich vollamtlich um den Konzertbetrieb zu kümmern. Die Lösung ist einleuchtend und von vielen Beteiligten derart begrüßt, dass HMM, der den Namen seines Sohnes gern mit akademischen Grad ausspricht, auf der Jubiläumsfeier verständigen Beifall erntet, als er einräumt, dieser Doktortitel bedeute ihm fast mehr als seinem Sohn.
Der Generationswechsel aber ist noch breiter unterfüttert. Eine Gilde endzwanziger MusikerInnen führt unter der Marke Junges Loft eine Reihe in Eigenregie durch. In Ansätzen schimmert hier ein Kuratorenmodell durch, das im Stadtgarten, im „europäischen Zentrum für Improvisierte Musik“, inzwischen voll entfaltet ist.
Ein „Kölner Jazz-Krieg“ aber, wie ihn ein Autor nicht zu Unrecht für die 80er Jahre ausgemacht hatte (damals stand die damals junge Stadtgarten-Mannschaft gegen eine alte Gruppe um den Impresario Gigi Campi), dürfte vielen heute völlig unvorstellbar, und allenfalls denen Ü60 erinnerlich sein.
Urs-Benedikt Müller, der Benni, ist einer der drei SprecherInnen der Kölner Jazzkonferenz, die eine Vielzahl der Aktiven der Kölner Szene vereint. Und die veranstaltet ihre Jahreshauptversammlung demnächst – nein nicht im Loft, nicht im Stadtgarten, im King Georg.