06/2020: “Eine unfassbar schöne Stimme”

Die Jazz-Sängerin Lina Knörr ist im LOFT-Streaming-Konzert zu entdecken

VON HORST PETER KOLL

Aus der Not wurde eine Tugend: Als das LOFT seinen Konzertbetrieb wegen Corona einstellen musste, entstand die Idee der Streaming-Auftritte. Ohne Publikum und doch live, waren ab Mitte März via Web allerfeinste Jazz-Konzerte zu genießen, bald folgten der Stadtgarten, das King Georg oder der Heimathirsch. Im LOFT entwickelte sich eine besondere Konzert-Ästhetik: Inmitten des von Stuhlreihen befreiten Konzertsaals spielten die Musikerinnen und Musiker in meist kleinen Besetzungen, anfangs noch fremdelnd, auch später immer mal wieder wehmütig die Abwesenheit des Publikums beklagend und doch glücklich, sich mitteilen zu können.

Doch es geschah noch mehr: Die Leere des Raums und die notwendige Konzentration unter Live-Bedingungen brachten künstlerisch Erstaunliches zutage, verdichtet in einer neuen, dem Format angemessenen Ästhetik, vorzüglich in der Klangqualität, kameratechnisch zurückhaltend, aber einfühlsam. Zwar ist nicht jedes jazzmusikalische Temperament für einen Streaming-Act geeignet, auch sind die Web-Konzerte für viele Musiker nur eine Übergangslösung; gleichwohl entstanden im neuen Format veritable Sternstunden, zu denen nun, am Ende der Streaming-Konzertsaison im LOFT, eine weitere hinzukommt: mit Lina Knörr präsentiert sich eines der ganz großen Gesangstalente des Kölner Jazz.

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Photo by Inês Pizarro Correia

Gerade das Streaming-Format bietet die kongeniale Möglichkeit, die junge Sängerin unmittelbar und direkt zu erleben. Im Zusammenspiel mit Kontrabassist Roger Kintopf offenbart sich quasi in Reinform, wie meisterhaft Lina Knörr traditionelle und zeitgenössische Ausdrucksmittel auszubalancieren versteht. Als einfühlsame Interpretin und fantasievolle Improvisatorin nutzt sie ihre fragile, facettenreiche und stets bestechend präsente Stimme als Instrument, mit dem sie den Jazzgesang hinaus ins freie Spiel weitet.

Mit Roger Kintopf zu spielen“, sagt sie, „ist eine wahnsinnig schöne, wertvolle Möglichkeit, meinen Fragen nachzugehen: Wie möchte ich in verschiedenen Situationen klingen? Was möchte ich singen, was möchte ich sagen? Wer möchte ich sein? In den letzten Monaten haben wir viel zusammengearbeitet, zunächst online und dann endlich wieder in der echten Welt, haben für unser Duo komponiert und Texte geschrieben. Im Konzert werden wir diese Songs mit einigen Lieblingsstücken verbinden, die uns schon länger begleiten oder uns jüngst über den Weg gelaufen sind.“

Spontan assoziiert man mit Lina Knörr die Gesangskunst von Norma Winstone, die sie tatsächlich für sich entdeckt hat, vor allem im Trio Azimuth mit Kenny Wheeler und John Taylor, aber auch mit Fred Hersch oder mit John Taylor und Tony Coe. „Ich liebe es aber auch, Standards zu singen. Stücke von Thelonious Monk gehören ebenso zu meinen Song-Vorlieben wie einige von Kenny Kirkland.“ Es ist faszinierend, wie feinfühlig Lina Knörr aus all den Anregungen ihren eigenen Klangraum erschafft, und das nicht nur im Duett mit Roger Kintopf, sondern auch in Zwiesprache mit dem Pianisten Niklas Roever. Wäre nicht Corona dazwischengekommen, gäbe es bereits ihr eigenes Quartett mit Kintopf, Roever und Trompeter Pascal Klewer, in dessen Bigband sie ebenfalls singt. Klewer hat für sie Balladen wie „I Love You, Porgy“ oder „Bewitched“ arrangiert und ist begeistert: „Es haut einen immer wieder um, wie sie das singt. Ich liebe es, ihre unfassbare schöne Stimme als besondere Klangfarbe herausheben. Vor allem gedoppelt mit Bläsern, etwa dem weichen Saxofon-Sound von Victor Fox, mischt sich das extrem gut.“

Lina Knörr studiert Jazzgesang an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, hat Unterricht bei Anette von Eichel, Jürgen Friedrich und Florian Ross, früher bei Susanne Schneider. Zugleich lehrt sie selbst Klavier und Gesang privat sowie an einer Kölner Musikschule. Neben Norma Winstone fühlt sie sich noch von vielen inspiriert, von Nina Simone, Sidsel Endresen, Cecile McLorin Salvant, Annette Peacock, Carmen McRae und Joni Mitchell. „Ich hoffe, meine eigene Stimme, meinen Sound und meine Rolle in verschiedenen Kontexten zu finden. Herauszufinden, wie ich schreiben möchte, wie ich Grenzen auslote und über sie hinausgehe. Dabei sind mir diese Sängerinnen wegweisend.“ Auf ihrer Suche bietet ihr Köln ein „gutes Pflaster“, und auch ihr aktuelles Streaming-Konzert ist eine wichtige Station: Die „Leere“ des LOFT füllen sie und Roger Kintopf souverän mit ihrer sicht- und hörbaren Klangwelt.