von Michael Rüsenberg, jazzcity.de
Inspiration dürfte nach Improvisation das am schwersten geprüfte Wort der Jazzdebatte sein.
Dabei spielen beide in einer unterschiedlichen Liga. Wird improvisiert, ist das für den Kenner in vielen Fällen durchaus erkennbar (wer vom Blatt spielt, improvisiert zumindest in dem Moment nicht). Improvisation ist ein strukturelles Merkmal.
Die Inspiration hingegen, wo sie nicht in Form einer Kopie oder eines Zitates offen zu Tage tritt, ist schwer zu fassen, sie gedeiht im Reich des Fiktionalen.
„x ist beeinflußt von y“ kann ungeheuer vieles bedeuten. Vollständig in Bedeutungsnebel verflüchtigt sich der Begriff in seiner Negation: „x spielte uninspiriert“. Auf gut Deutsch: ihm fiel nichts ein, nicht mal was bewährtes Fremdes.
Wie beglückend also, wenn man sich in der Hermeneutik dieser Frage – als Zuhörer – einmal ganz nah an der Quelle wähnen kann, an Ursache und Wirkung. Und, (wenn auch nicht unter ausdrücklich unter dem Motto „Inspiration“) der Künstler diesen Sachverhalt auch noch bestätigt.
Der Künstler ist in diesem Falle der sehr umtriebige Kölner Bassist Sebastian Gramss. Dieser bringt sein Instrument in vielen Formaten, von einer sprichwörtlichen „Bassmasse“ bis hin zum Solo zum Sprechen. Sein Instrument, das ist der Baß von Peter Kowald (1944-2002). Er hat ihn um 8 weitere, mitschwingende Saiten zu einem „Space Bass“ erweitert.
Im Frühjahr 2022 hört Gramss im Stadtgarten Köln das Quartett von Christian Wallumrød, Dans les Arbres. Dass er „schon immer was“ mit dem norwegischen Pianisten machen wollte, bekräftigt sich dort und führte nun im Loft, Köln, zum Trio SPACE.
Die Unterschiede sind klar: gegenüber Dans… fehlen bei SPACE elektrische Instrumente (bis auf, wirklich am Rande, bis auf einen Mini-Analog-Synthie bei Wallumrød und einen kurzzeitigen e-bow-Effekt an Gramss´Bass).
Die Verwandtschaften überwiegen: die geringe Lautstärke, mitunter agieren die drei an der Hörschwelle. Die erweiterten Techniken an Piano und Kontrabaß (Gramss arbeitet mitunter mit zwei Bögen gleichzeitig). Sowie die sehr spezifische Rolle eines Schlagwerkers: Ingar Zach dort, Etienne Nillesen hier.
Wobei diese Bezeichnung formal stimmt, anwendungsbezogen aber in die Irre führt. Beide führen so gut wie nie einen „Schlag“ aus; beide interessiert an ihren Instrumenten (die große Konzerttrommel bei Zach, bei Nillesen die snare drum) deren Eignung als Resonanzraum; beide bringen die jeweilige „Schlag“-Fläche mit unterschiedlichsten Techniken, bis hin zur Zärtlichkeit, ins Schwingen.
Nillesen tut das mit Daumen, Fingern, der Hand, mit einem Arsenal an Gegenständen; Hartgummi z.B. reibt sich betörend an Fell (auch bei den beiden anderen bewirkt ein entsprechendes Stöckchen klanglich Wunder).
Zwei Saxophonblättchen aus Plastik schaben einen drone-Sound, der dem aus der Elektronik zum Verwechseln ähnelt.
Und, wer hat je einen Drummer seine snare umdrehen sehen? Nillesen tut es, drei „snare Teppiche“ kommen zum Vorschein. Er streicht einen mit einem kleinen Bogen.
Wer für einen Moment den Blick abwendet, staunt umso mehr darüber, was dieses Klangbild hervorruft.
Etienne Nillesen, „der Holländer aus der Südstadt“ (Gramss), ist der foley artist unserer Tage.
Nur, dass er im Gegensatz zu seinen historischen Vorläufern, den Geräuschemachern der Stummfilmzeit, rein gar nichts illustriert, sondern der autonomen Kunst dient.
Der Frei Improvisierten Musik.
Wie jene weiß auch er, dass die jeweiligen Techniken das eine sind, und den großen Rest der Verfremdung die Mikrofonierung besorgt.
Bis auf den Soundcheck treffen Gramss/Nillesen/Wallumrød ohne jede praktische Erfahrung aufeinander.
Im Konzert kommen sie mithin dem von Keith Jarrett proklamierten Ziel nahe (was für ihn weniger erreichbar ist), dass nämlich die Musiker über den Verlauf einer Performance nicht mehr wissen als ihre Zuhörer.
Und tatsächlich vermittelt die offene Form einem mehr als sonst das Gefühl, Mitspieler zu sein, hier und da vielleicht andere Akzente setzen zu wollen. Andererseits aber finden die drei zu fabelhaften Schlüssen, die unsereins nie und nimmer eingefallen wären.
Wie kommen sie dazu? Sie haben zwar in dieser Konstellation keine Erfahrung, auf die sie sich beziehen könnten, sagt Gramms in der Pause, aber sie verfügten einzeln über so viel Erfahrung und Wissen aus solchen Kontexten, dass sie nichts präparieren müssen.
Die Musiker sind in gewisser Weise eben doch „schlauer“ als ihre Zuhörer.
Und das geht voll in Ordnung. Die Zuhörer können eh mit dem Gehörten machen, was sie wollen.
Sie können es sich – fasten seatbelts – kulturell an-eig-nen.
Fotos: Peter Tümmers
erstellt: 29.08.22
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