Rezension von Uwe Bräutigam auf nrwjazz.net
Text & Fotos: Uwe Bräutigam
Köln, 03.12.2018 | Im Kölner LOFT herrscht Gedränge. Jugendliche und Kinder zwischen 10 und 16 Jahren suchen sich einen Platz. Auch auf der Bühne sind Jugendliche und legen Hand an Keyboards oder Cajons (Kistentrommeln). Ein Junge spielt auf seiner E-Gitarre. Eine ungewöhnliche Szenerie in einem Veranstaltungsort für Jazz und experimentelle Musik. Mit dabei sind aber auch drei Musiker, die an diesem Ort schon oft aufgetreten sind. Die Mitglieder der deutsch-indischen Band Eastern Flowers: Ensemblegründer Jarry Singla am Piano, Christian Ramond am Bass und Ramesh Shotham am Schlagzeug. Sie stellen das Projekt Diffusion Music vor. Der Begriff Diffusion (gegenseitige Durchdringung) ist Programm. Es geht um das Zusammenspiel, das gegenseitige Durchdringen von Profimusikern und Laien. Die Musiker von Eastern Flowers haben mit Schüler*innen eines Musikkurses des 10. Jahrgangs am Genoveva Gymnasium in Köln Mülheim ein gemeinsames Musikprojekt auf die Beine gestellt. Auch im Publikum sitzen Kölner Schüler*innen, sie sind aus der Kath. Grundschule Lindenburger Allee, der Gesamtschule Rodenkirchen und des des Ehrenfelder Berufskollegs.
Nach drei Monaten intensiver Arbeit stellen die Schüler*innen des Genoveva Gymnasiums mit den drei Berufsmusikern ihr Projekt Diffusion Music in zwei Konzerten vor. Das erste Konzert findet im LOFT statt und das zweite im Genoveva Gymnasium.
Eastern Flowers ist ein Trio aus Musikern, die seit vielen Jahren fest zur Jazzszene gehören und alle drei besitzen einen indischen Familienhintergrund. Alle drei Musiker von Eastern Flowers sind hervorragende und viel gefragte Instrumentalisten und Komponisten in den Bereichen Jazz, Worldmusic und Zeitgenössische Musik und spielen in verschiedenen Bands.
In unterschiedlichen Zusammenhängen berichtete NRW Jazz bereits über die einzelnen Musiker und die Band. So etwa über die hervorragende Doppel CD The Mumbai Project von Jarry Singla, auf der auch Christian Ramond und Ramesh Shotham spielen. The Mumbai Project ist auch eine Form von Diffusion, ein gegenseitiges Durchdringen von europäischem Jazz und klassischer indischer Musik, von westlich geprägten Jazzmusikern und indischen klassischen Musikern.
Die Musiker haben über drei Monate mit den Schülerer*innen im Genoveva Gymnasium gemeinsam interkulturelle Musik entwickelt und eingeübt. Dabei wurde viel experimentiert und ausprobiert. Immer Montags kamen Christian Ramond und Ramesh Shotham für eine Doppelstunde in die Schule. Jarry Singla, der Leiter des Projektes, probte mit den Jugendlichen noch zu zusätzlichen Zeiten. Er stand vor dem Problem, dass nur wenige der achtzehn Schüler*innen ein Instrument spielen. Er machte aus der Not eine Tugend und schaffte für das Projekt Cajons und Kalimbas (Daumenklaviere mit neun Tönen) an. So spielten alle achtzehn Schüler*innen neben Klavier, Keyboard, Gitarre und Cello ein Instrument, das einfach zu handhaben ist und auch nach relativ kurzer Übungszeit eingesetzt werden kann.
Ein Ziel des Projektes ist, dass die Profimusiker, die Schüler*innen ermutigen sollen, eigene Ideen einzubringen und ihnen dabei zu helfen, diese musikalisch umzusetzen. Ein Schüler brachte das Stück Only God Can Judge Me des afroamerikanischen Rappers Tupac Shakur mit. Die Musiker griffen diese Idee auf und nahmen die Basslinie und die Akkorde und übten sie mit Schülern auf den Cajones. Da niemand Erfahrung mit Rappen hatte, wurde ein Part aus der südindischen Trommelsprache Konnakol eingefügt, mit Frage und Antwort, analog zu einem Rap-Battle. Zwei Schüler spielten dann noch eine Synthesizer Melodie dazu. Mit Unterstützung von Christian Ramond am Bass, Ramesh Shotham am Schlagzeug und Jarry Singla am Klavier entstand ein ganz eigenständiger Tupac Tribut, der mit viel Beifall belohnt wird.
Die südindische Trommelsprache Konnakol wird während des Konzerts vielfach eingesetzt. Ramesh Shothamlässt die Schüler*innen Silbenfolgen wie ta – di – tan – gu und ta – di – gi – na – ku rhythmisch skandieren. Eine interessante Möglichkeit, Rhythmen zu vermitteln und einzusetzen.
Ramesh Shotham spielt nicht nur Schlagzeug und skandiert Rhythmen, sondern setzt im Konzert auch seine indische Maultrommel ein. Dazu improvisiert er mit sechs Schüler*innen an den Kalimbas. Ramesh Shotham gibt einige Töne auf der Maultrommel vor und die Schüler*innen antworten auf den Daumenklavieren, so entsteht die kleine Call and Response Improvisation Morsing Interlude – auch als “Plan B“ bezeichnet. Als Jarry Singla vor dem Konzert in der Grundschule eine kurze Einführung gab und die Kinder fragte ob sie wüssten was Improvisation sei, antwortete ein Schüler, es sei so etwas wie “Plan B“.
Ein anderes Beispiel für das Zusammenspiel von Profis und Laien ist der Landó-Blues, ein kraftvolles Stück mit treibendem Rhythmus, bei dem die Cajon Gruppe der Schüler*innen ganz besonders zur Geltung kommt. Landó ist ein afro-peruanischer Rhythmus, der heute noch in Peru sehr populär ist.
Ein Schüler hatte dazu eine Idee für eine Gitarrenlinie. Die Linie, die er mitbrachte, ähnelte einwenig der Melodie aus Mission Impossible. Singla übernahm sie und setzte sie in den 6/4 Takt des Landó. Dann kam der Schüler auf die Idee, sie nicht dreimal gleich zu wiederholen, sondern sie von verschiedenen Tonstufen aus zu spielen. Daraus entwickelten Musiker und Schüler den Landó-Blues. Ramesh Shotham steuerte ein Schlagzeugsolo bei und Jarry Singla improvisierte am Klavier dazu. Das Publikum spendet kräftigen Beifall.
Der Schüler an der Gitarre sagte im Gespräch, dass er in der letzten Zeit das Gitarrenspiel eher vernachlässigt habe und durch das Diffusion Projekt nun wieder motiviert sei, Gitarre zu spielen. Angespornt durch das Konzert im LOFT, dachte er sich er sich noch eine Gitarreneinleitung für das Konzert in der Schule aus.
Beeindruckend ist auch der Vortrag der sechzehnjährigen Bercem, die ein Lied für Piano komponiert hatte, mit dem türkischen Titel Umut – Hoffnung. Im ersten Teil spielt sie Solo und dann kommt Begleitung von Synthesizer, Bass und Schlagzeug dazu. Das Stück hatte sie sich schon vor längerer Zeit ausgedacht, aber im Rahmen des Projektes in Noten notiert. Im LOFT spielt sie mit einer weiteren Schülerin auch ein kleines Cello/Bass Interlude zusammen mit Christian Ramond.
Zwischen den Stücken geben Schüler*innen kurze Informationen zu den Musikinstrumenten Kalimba aus Afrika und Cajon aus Peru, oder zu den Musikern, die mit ihnen die Stücke erarbeitet haben.
Zum Abschluss des Konzertes spielen Schüler*innen und Musiker das Stück Samosa aus Jarry Singlas CD The Mumbai Project. So klingt das Konzert mit Musik von Eastern Flowers und dem Kalimbaspiel, rhythmischem Klatschen und Skandieren der Trommelsprache Konnakoldurch die Schüler*innen aus. Es gibt viel Beifall von Schülern, Lehrern und Eltern.
Diese Beispiele zeigen, wie Teenager mit Unterstützung von drei professionellen Musikern, ein Musikprogramm erarbeitet haben, das gespeist ist aus indischer, afroamerikanischer, lateinamerikanischer und türkischer Musik und bei dem Folk, Jazz, Rock und Hip Hop aufeinandertreffen. Ein Programm, voll mit spannenden Momenten.
Nach dem Konzert in der Schule beglückwünscht der Schulleiter die Schüler*innen und Musiker zu ihrem erfolgreich dargebotenem Konzert. Er betont, dass die Schule solche Projekte nicht nur fördere um Schüler*innen an Musik heranzuführen, sondern vor allem, um die Erfahrungzu vermitteln, dass in den Schüler*innen viel mehr stecke, als ihnen bewusst sei.
In den beiden Konzerten zeigten die Schüler*innen etwas von dem, was in ihnen steckt. Ein wirklich lohnenswertes Projekt. Die Jugendlichen hatten Gelegenheit, mit hochkarätigen Berufsmusikern auf Augenhöhe zusammen Musik zu machen und sind in einem Jazz Club aufgetreten. Sie konnten ihre eigenen Ideen und Vorschläge einbringen und erlebten, wie diese Ideen auch realisiert wurden. Sie lernten neue Instrumente kennen und lernten darauf zu spielen und wurden an neue musikalische Ausdrucksformen herangeführt.
Für das Genoveva Gymnasium ist dies nicht das erste außergewöhnliche Musikprojekt. Schüler*innen der Schule nahmen bereits an einem Kompositionsprojekt des Acht Brücken Festivals teil und stellten ihre Werke in der Kölner Philharmonie vor. Der musische Bereich, der in vielen Schulen zu kurz kommt, wird an dieser Schule stark betont. Die Schüler*innen haben die Möglichkeit, eines der Profilfächer „Kunst Design“, „Tanz“ oder „Theater“ zu wählen. Der Tanzunterricht wird von professionellen Tanzpädagogen erteilt. Durch dieses erfolgreiche Projekt ist nun der Musikbereich der Schule stärker in den Fokus gerückt.
Aber nicht nur die Jugendlichen profitierten von dem Projekt, auch die Musiker sammelten in der Zusammenarbeit mit den Schüler*innen neue Erfahrungen und bekamen neue Impulse. Und nicht zuletzt bleibt zu hoffen, dass über solche Musikprojekte mit jungen Leuten, die dringend notwendige Verjüngung des Jazzpublikums unterstützt wird.