jungesloft: STIMMUNGEN
Experimentelle Konzertreihe mit StimmkünstlerInnen und improvisierenden MusikerInnen aus Köln.
Gast-Solistin: Lauren Newton – Stimme
Mascha Corman – Stimme, Elisabeth Fügemann – cello, Florian Herzog – bass, Salim Javaid – sax., Dominik Mahnig – drums, Christoph Möckel – bcl., Anna Neubert – violine, Thea Soti – Gesang, Moritz Wesp – trb.
„Stimme ist nie abstrakt“, sagt Mascha Corman, „du fühlst unmittelbar ihren Ausdruck. Das Spannende ist, wenn die Stimme auf etwas Abstraktes trifft, wie etwa ein herkömmliches Instrument. Das ist ein wichtiger Aspekt von ‚Stimmungen’“. „Wir wollen zeigen, wie Stimme improvisatorisch in einer Band funktionieren kann“, ergänzt Thea Soti. Die beiden Sängerinnen kuratieren als eins von vier Kuratorenteams die Konzertreihe mit Schwerpunkt Stimmkunst im Loft Köln.
Eingeladen ist zum Eröffnungskonzert deshalb Lauren Newton, Europas Speerspitze der improvisatorischen Stimmkunst. Sie eröffnet den Abend mit einer Solo-Performance.
Es ist eine Expedition in die menschliche Stimme, die Newton dem Zuhörer anbietet, beinahe ein Kompendium, von Ameisen-Gebrabbel bis Zähneputzen. Mit schier unerschöpflichem Repertoire durchleuchtet sie improvisatorisch stimmliche Facetten, Kapitel für Kapitel. Newton knurrt, gurrt, flüstert, ruft, stottert und quietscht, sie produziert Laute in allen erdenklichen Dynamikstufen und versteht es, diese zu sinnvollen musikalischen Einheiten zu gruppieren. So baut sich vor dem aufmerksamen Zuhörer tatsächlich nach und nach ein musikalisches Gebilde auf, man erkennt Motivik, Erzählstrukturen, gar einen Song.
Die Stimmkünstlerin möchte auf Stimme aufmerksam machen, besonders im Alltag, der eine unendliche Vielzahl von inspirierenden Lauten bereithält. Sie beweist das anhand sehr präzise artikulierter Geräusche, aber auch durch mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragenen Wortspielereien: „Ar-m, Far-m, Mor-d, Tro-tt, Far-mer, Fer-mé, Fer-ma-ta“, Silbe für Silbe reiht sie dann spielerisch Worte aneinander, „Rohr, Ruhr, Rar, Art, Rat-tan, Ter-ram, Meer, Meer-at, Ad ter-rem, Fer-ra, Farn…“. Newton genießt sichtlich das Bilden der Vokale und Konsonanten, das Gefühl, diese Laute ganz bewusst zu Wörtern zu formen.
Dann wieder Geräuschhaftes – fast imitatorisch ertönen aus ein und derselben Kehle Wolfsknurren, ein alter Mann im Würgegriff, zweistimmige Flöten, ein verreckender Hund, Obertongesang, Synthesizergeheul, ja sogar Bollywoodmelodik. Darf man dabei lachen? Man darf: „Humor spielt in meinen Performances eine große Rolle, er gehört zu den Emotionen, die ich durch Stimme kanalisiere. Ich möchte diese Regung auch nicht verstecken, aber gerade im Loft mit seinem offenen Publikum muss man das auch nicht“, sagt die Stimmkünstlerin mit ihrer erstaunlich leisen Sprechstimme. „Entdecken Sie die zusätzliche Seite der Stimme“, fordert sie die Zuhörer am Ende ihres Soloauftritts auf, und meint damit eben alles, außer das herkömmliche Singen oder Sprechen.
Im zweiten Set teilt sich Newton die Bühne mit ihren Kolleginnen Mascha Corman und Thea Soti, sowie sieben Instrumentalisten, darunter Saxophon, Cello, Geige und Schlagzeug. Gespielt werden freie Improvisationen, lediglich rudimentäre Absprachen sind in einer vorangegangenen Probe besprochen worden. Doch was unscheinbar anfängt, wird schnell zur echten Bewährungsprobe für Newton und ihre beiden Schülerinnen im Geiste, denn das Ensemble folgt seinen eigenen Gesetzen, und die sind überwiegend abstrakt, instrumental. Es entstehen immer wieder interessante Texturen, am besten gelingen dabei spontane Duos und Trios, die durch das aktive Zuhören der anderen Musiker plötzlich Raum bekommen. So liefern sich Salim Javaid am Altsaxophon und Dominik Mahnig am Schlagzeug ein packendes musikalisches Gespräch und Moritz Wesp (Posaune) kreiert mit Christoph Möckel (Tenorsax) eine filigran-kontrapunktische Intro. Die Streicher (Anna Neubert, Elisabeth Fügemann und Florian Herzog) zerfließen mit Flageolets ineinander, gehen ansonsten aber wechselnde Allianzen ein. Die drei Stimmen sind anfangs noch präsent, gehen aber zunehmend in der instrumentalen Übermacht verloren. Hier hätte man das Ensemble entweder verkleinern, oder noch mehr auf die gemeinsam Mission einschwören sollen.
Mascha Corman und Thea Soti gelingt mit ihrem Auftaktgast Lauren Newton, einen bleibenden Eindruck beim Zuhörer zu hinterlassen, was Stimmkunst ausmacht und weshalb sie faszinierend ist. Die beiden Kuratorinnen scheuen dabei nicht davor zurück, die Stimme mit großem Instrumentalensemble zu kombinieren. Mit Sotis Worten: „Es ist der Anfang einer Bewegung“, mit Newtons: „Beim Improvisieren geht man mit sich selbst durch dick und dünn.“
© Luis Reichard 2015