11/2015: jungesloft – Stimmungen feat. Theo Bleckmann

jungesloft: STIMMUNGEN feat. Theo Bleckmann

Theo Bleckmann – Stimme / Komposition / Leitung, Mascha Corman – Stimme, Filippa Gojo – Stimme, Tamara Lukasheva – Stimme, Thea Soti – Stimme, Stefan Schönegg – Kontrabass, Etienne Nillesen – Drums / Percussion


© Sonja Werner
© Sonja Werner

Unkonventionelle Konzepte und die Erfahrung außergewöhnlicher Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Stimme verspricht das zweite Konzert der Reihe „Stimmungen“ im Kölner Loft. Eine Spezialität des Jazz erwartet den Zuhörer, für die, so der Wunsch der Kuratorinnen Mascha Corman und Thea Soti, mehr Aufmerksamkeit geschaffen werden soll. Dies gelingt offensichtlich, denn der eingeladene Sänger und Stimmkünstler Theo Bleckmann lockt über siebzig Gäste an, der Konzertraum ist mit sitzenden und stehenden Menschen aller Altersgruppen gefüllt.

Dem Konzept der Kuratorinnen folgend, tritt Bleckmann zunächst solo auf, um dann seine Musik im zweiten Set gemeinsam mit Kölner Musiker_innen zu präsentieren. Der erste Titel ist programmatisch für den Solo-Konzertteil: Duet for One. Souverän und mit perfekter Intonation begleitet sich Bleckmann selbst, indem er neben der Melodie auch Akkord- und Basstöne vokal streift. Seine Stimme bietet dabei ein glasklares Falsett, eine Bruststimme von hauchig bis kernig und Flexibilität bis in die tiefsten Lagen. Durch ein beeindruckendes Atemluftmanagement gelingen ihm auch durchgehende Texturen; Bleckmann singt beim Aus- und Einatmen.

© Sonja Werner
© Sonja Werner

Jedes der kurzen Stücke, die der gebürtige Dortmunder im Gepäck hat, erschafft einen eigenen kleinen Kosmos und bedient sich eines gewählten Instrumentariums. So ist der Anteil an geräuschhaften und experimentellen Sounds immer unterschiedlich, zunächst versteckt er sich innerhalb konkreter Gesangstöne, später gestaltet der Sänger Geräuschkulissen völlig unabhängig von gesungenen Tönen.

Auch sein wichtigstes externes Werkzeug, die Live Electronics, setzt er gezielt ein: Virtuos steuert Bleckmann Loopgeräte, Echo- und Hallboxen und kreiert damit atmosphärische Räume, in denen er sich solistisch und motivisch bewegen kann. Mal klingt die archaische Melodie eines französischen Lieds aus dem Mittelalter an (Guillaume de Marchaut), mal sprudeln dadaistische Silbenketten aus dem Mund des mittlerweile in New York wohnhaften Stimmkünstlers.

Spätestens beim Duett mit einem sprechenden Teddybären wird klar, dass man es nicht mit einem todernsten Kunstbegriff zu tun hat. Bleckmann bestätigt: „In vieler Musik ist der Humor verloren gegangen. Das Gefühl, dass alles schwer und kompliziert sein muss, finde ich ermüdend. Ich möchte dem Zuschauer Überraschungsmomente geben, zwischen Leichtverdaulichem platziere ich deshalb bewusst auch Hartes und Aggressives, oder auch Seltsames, Mysteriöses“.

© Peter Tümmers
© Peter Tümmers

Klanglich einheitlicher, aber keineswegs langweilig gerät das zweite Set, in dem Bleckmann seine Musik mit den Sängerinnen Filippa Gojo, Mascha Corman, Thea Soti und Tamara Lukasheva sowie Stefan Schönegg am Kontrabass und Etienne Nillesen am Schlagzeug interpretiert. Die elektronischen Klangmodulationen aus dem Solo-Konzertteil bilden für Bleckmann die Brücke, sein Gesang steht klanglich gegenüber dem restlichen Ensemble deshalb stark im Vordergrund. Auch musikalisch steuert er die Kompositionen und Improvisationen deutlich, zeigt Fermaten und Cluster an und lässt die Rhythmusgruppe Miniaturen improvisieren. So gelingt es, die menschliche Stimme als Instrument im Kontext eines gemischten Ensembles selbstbewusst zu platzieren und trotz der großen Besetzung und dem hohem Improvisationsanteil kompakte Stücke zu entwickeln.

© Peter Tümmers
© Peter Tümmers

Die vier Kölner Sängerinnen tragen in unterschiedlichem Maße dazu bei, den Facettenreichtum der Stimme in den Mittelpunkt zu stellen. Corman zeigt durch kreative Texturen und die spontane Textrezitation die stimmliche Vielfalt fernab von gesungenen Tönen, Soti verbindet Ton und Geräusch, indem sie ihren ausdrucksstarken Vokalisen geräuschhafte Anteile beimischt. Filippa Gojo, die neben der Arbeit mit ihrem Quartett auch Solokonzerte gibt, kann bei konventionellen Gesangsphrasen mit stimmlicher Balance und lupenreiner Intonation glänzen. Manchmal ein wenig zu komödiantisch gerät Lukashevas Beitrag, ihre vokalen Improvisationen haben einen Hang zum Hektischen und Ironischen, dafür beeindruckt sie mit klarer Stimme in den höchsten Höhen.

Die Rhythmusgruppe bleibt durchgängig hintergründig und lässt den fünf Vokalisten_innen viel Platz für Experimente. Schönegg spielt mit rundem, aber vorsichtigem Sound, Nillesen klingt filigran durch sein feines Spiel mit weichen Schlägeln oder Essstäbchen. Während das Schlagzeug bis zuletzt klanglich eine eher atmosphärische Rolle innehat, rückt Schönegg dann doch beim letzten Stück mit einem ausgedehnten Solo in den Vordergrund.

Durch seine Fähigkeiten als Performer, kompetenter musikalischer Leiter und Solist und nicht zuletzt durch die sympathische Moderation, hält Theo Bleckmann gekonnt die Fäden dieses außergewöhnlichen Konzerts in der Hand. Das Publikum honoriert den mutigen Vorstoß der Reihe „Stimmungen“ in das abstrakte Feld der Stimmkunst mit viel Applaus.

©Luis Reichard