von Michael Rüsenberg, jazzcity.de
Also, dieser spoiler muss sein.
(This spoiler was brought to you by saxophonist Wolfgang Schmidtke, einem der größten Jazzanekdoten-Erzähler vor dem Herrn…)
New York City, Birdland, Ende der 50er Jahre, Stan Getz & John Coltrane spielen abwechselnd mit ihren Gruppen und beobachten den jeweils anderen genau.
Coltrane also hört Getz zu und urteilt: „Fortunately, he doesn´t have a sound“.
(Egal, ob das historisch verbürgt ist: an dieser Stelle ist Wiehern vor Lachen absolute Pflicht!)
Die Standards Week im Loft, Köln, organisiert von Pablo Held, ist ein fernes Echo obiger Zeiten, als Bands oft wochenlang in einem Club gastierten, besucht von Musikerfreunden (oder auch Neidern), die dann entflammt auch gelegentlich miteinstiegen. Die lingua franca des Jazz damals waren Standards. Niemand musste sich Noten zeigen lassen. Those were the days, my friend.
Wenn also Pablo Held heute fünf Tage en suite mit den gleichen Ensembles im Loft einläutet, dann haben er, haben alle, auch das Publikum, nicht den auch kompetitiven Charakter jener historischen Tage im Sinn, das mitunter direkte Kräftemessen, sondern ausschließlich den freundschaftlichen Aspekt, das Einanderzugewandtsein. (Es ist offenkundig und bedarf eigentlich weniger des extra darauf hinweisenden Selbstlobes.)
Man traf sich um fünf, probte, sprach die Besetzungen des Abends durch und ging „lecker essen“ (Held).
Fünf Tage lang Standards am Stück, im LOFT, einem Leuchtturm der Avantgarde – einer der Hausherren, Hans Martin Müller, konnte sich nicht verkneifen, diese spezifische Konstellation herauszustellen. Und mit ironischem Behagen auch die Getränkewünsche der jungen Leute: Kräutertee, Ingwertee (der Gegensatz zu den Vorvätern imaginierte sich von selbst).
Die meisten sind eh Geschöpfe dieses Ortes, der bedeutendsten Kölner Kaderschmiede der nach-Jazzhaus-Generationen, das Pablo Held Trio hatte dort vor 16 Jahren seine Premiere.
Das Trio startete die Woche vorsichtig, ja fast bieder. Vermutlich weil die Performances auf eine halbe Stunde terminiert sind, erreichte diese nicht eine Flughöhe wie vor einem Jahr in der Philharmonie Köln, ein staunenswertes jazz as jazz can.
Im letzten Stück stieg Shannon Barnett ein, die Posaunistin; „This is new“ von Kurt Weill wirkte schon dadurch belebend, weil es über zwei Tempi läuft.
Danach ein Gitarren-Duo aus dem Nachbarland, der renommierte holländische Gitarrist Jesse van Ruller mit seiner lettischen Schülerin Ella Zirina.
So wirkte es; „Augenhöhe“ wurde den beiden vom Gastgeber vorab attestiert, Ohrenhöhe wäre besser gewesen. Und doch hätte man beinahe überhört, weil eben klanglich wenig sich wandelte, durch welche Drehtüren die beiden „My funny Valentine“ abschließend schickten.
Das Finale des ersten Abends wurde dessen lebendigster Teil. Endlich wieder Rhythmus durch die andere große Kölner Rhythmusgruppe – David Helm, b, und Fabian Arends, dr – im Shannon Barnett Quartet mit dem super-coolen Stefan Karl Schmid, ts.
Horace Silver, Monk, Ellington, schließlich Sonny Rollins´ „Airegin“ mit dem Gitarristen Ruller als Gast – noch wehte lediglich ein Hauch von De-Konstruktion durch das clubartig umgestaltete Loft.
Man verließ den Ort in der Gewissheit, da sei noch Raum nach oben.
Und so war es, der headroom wurde kleiner. Am Freitag, am letzten Tag, ward die Jazzpolizei schon freudig begrüßt mit dem Fazit der Zwischentage, es habe sich einiges entwickelt. Das Gitarren-Duo allzumal.
Meister Ruller war leider schon abgereist, dafür eröffnete Ella Zirina den Abschlusstag. Solo. Sie ist 25, bringt im Februar ihr Debütalbum heraus, und wenn es einen Darling dieser Woche gab, dann sie. Es lag aber auch etwas Mentorenhaftes in dieser Sympathie.
Nach Billy Strayhorn erweiterte sie den Rahmen der Standards, so wie es das Realbook vorgibt, um Brasilianisches; vorsichtig, geradezu homöopatisch der Einsatz der Fußpedale – sie hat noch etwas vor sich im Hinblick auf Routine & Stil.
Shannon Barnett trat hinzu. Als Sängerin, wie auch später in einem Stück mit ihrem Quartett. Nun denn, Pablo Helds Bemerkung, er höre die Posaune in ihrem Vocal, ist ein nettes Kompliment, aber nicht hinreichend vom Höreindruck bestätigt.
Als sie dann mit ihrer Band wirklich zur Posaune griff, oh ja, oh ja! „Barbados“ von Charlie Parker, schon mal gehört? „Weaver of Dreams“, ja klar, auch „You´ve changed“. Aber dann „Hyper Christmas Tree“ (oder so ähnlich), ein Stück von Misha Mengelberg (1935-2017), das nur vom Titel her jahreszeitlich blinzelt, ein europäischer fast swing!
Und schließlich erneut das Pablo Held Trio. De-Konstruktion lag nicht nur gedanklich in der Luft, die entsprechenden Moleküle wurden vom auditorischen cortex richtig dekodiert.
„All the things you are“, ein Genuß. Das Stück (gut anmoderiert) in einem Intro und Outro von Held zu hören, mit vertauschten Formteilen im eigentlichen Stück aus einem Arrangement von Frank Kimbrough (1956-2020), von den Soli ganz zu schweigen.
Strayhorns „Lush Life“ stet mit einem ! in den Aufzeichnungen der Jazzpolizei, desgleichen ein Stück des Pianisten, das er auf die Harmonien von „Just in Time“ gesetzt hat. Zum Abschluß, mit Blick auf die Uhr zu früh!, „Round Midnight“.
Ja, so könnte es weitergehen. Eine Woche im Dezember wäre demnach „standards week“, eine Woche heraus aus dem eigenen Kiez, mit Ensembles im Austausch, ruhig auch wieder mit einer Prise mentorship.
Das Loft war durchgängig gut besucht, fünfmal je 60 Besucher und mehr, wo gibt´s das schon. These days.
Fotos: Peter Tümmers
erstellt: 10.12.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten