10/2019: Multiphonics Festival VI | Michael Riessler / Hannes Zerbe & Jürgen Kupke

Rezension von Uwe Bräutigam auf nrwjazz.net

Text & Fotos: Uwe Bräutigam

Köln, 09.10.2019 | Das Multiphonics Festival ist zum ersten Mal Gast im Kölner Loft, mit einem Doppelkonzert von Michael Riessler und Hannes Zerbe & Jürgen Kupke.

Michael Riessler – Unheimliche Geschichten

Michael Riessler spielt im Loft live Bassklarinette zu dem 100 Jahre alten Stummfilm Unheimliche Geschichten. Vor 30 Jahren, als das Loft noch nicht ganz fertig umgebaut war, probte Michael Riessler u.a. mit Frank Köllges im Loft. „So spielte er also die ersten Töne, die je im Loft erklangen,“ so Loft Gründer Hans Martin Müller. Riessler ist einer der vielseitigsten deutschen Komponisten und Musiker. Über viele Jahre war er gemeinsam mit den Größen des französischen Jazz Mitglied im Orchestre National de Jazz, er arbeitete mit Stockhausen, John Cage und Steve Reich, hat CDs mit Barockmusik eingespielt, machte Hörspielmusik, schrieb ein Balettundarbeitete mit den Berliner Philharmonikern ebenso zusammen wie mit der WDR Big Band.

Bevor die ersten beiden Episoden des Films beginnen spielt Michael Riessler Solo ohne Film.

Sein Bassklarinettenspiel ersetzt einen vollständigen Soundtrack. Er führt das Publikum in dunkle Räume, steigert die Spannung und lässt ein Gefühl von Verfolgung und Bedrohung mit seiner Musik aufkommen. Riesslers Filmmusik lässt ein Kopfkino entstehen und für einen Moment ist vergessen, dass der Film noch nicht läuft. Dann begleitet er die ersten beiden Episoden des alten Stummfilms. Er spielt zur vorhandenen Filmmusik, auch hier zeigt er seine Meisterschaft. Man wünscht sich allerdings die Filmmusik leiser, damit das Spiel von Riessler noch stärker im Mittelpunkt steht. Nach dem der Film beendet ist, spielt er einige Zeit weiter. Zum Abschluss arbeitet er nur noch mit den Klappen der Bassklarinette. Michael Riessler Solo ohne Film ist sicher musikalisch der Höhepunkt des Konzertes, obwohl natürlich der alte Stummfilm aus dem Schauergenre auch seinen Charme hat und dem Konzert eine besondere Note gibt.

Hannes Zerbe & Jürgen Kupke play Hans Eisler

Nach dem begnadeten Bassklarinettenspiel von Michael Riessler, geht es mit zwei ebenso herausragenden Musikern weiter: Hannes Zerbe, Piano und Jürgen Kupke, Klarinette. Beide stammen aus der DDR und sind Absolventen der Hochschule für Musik Hans Eisler in Berlin.

Der Komponist Hans Eisler, wurde als Kommunist und Komponist der DDR Hymne, im Westen viele Jahre als Persona non grata behandelt. Hans Eisler, der neben Webern und Berg, der dritte große Schüler von Arnold Schönberg war, ist einer der wichtigsten deutschen Komponisten des 20. Jh. Erst in den letzten Jahren findet sein Werk auch im Westen die gebührende Beachtung.

Zerbe und Kupke kennen sich seit den 80ern aus der DDR Jazzszene und arbeiteten in unterschiedlichen Projekten zusammen, so spielt Jürgen Kupke auch im Hannes Zerbe Jazz Orchester mit und seit 1995 arbeiten sie als Duo zusammen.

Im Loft spielen sie vor allem Stück aus der aktuellen CD “Alles hat seine Zeit“ die bei Jazz Haus erschienen ist.

Das Vorspiel zur Winterschlacht von Hans Eisler ist der Einstieg in das Konzert. Im Verlauf des Konzertes folgen noch zwei weitere Eisler Stücke: Der Kirschdieb zu einem Gedicht von Brecht und Vom Sprengen des Gartens. Im letztgenannten Stück spielt Jürgen Kupke eine lange Solo Improvisation, mit allen erweiterten Techniken, von Klappenspiel bis zu Ansatzklacken, mit solch einer Virtousität, das den Zuschauern schwindelt. Ebenso beeindruckend ist das Stück Dictus von Carla Bley. Hannes Zerbe und Jürgen Kupke zeigen auch hier Atemberaubendes an ihren Instrumenten. Diese beiden Stücke sollen nur als Beispiel dienen, ebenso könnte die Ballade in Grau von Zerbe oder der großartige Tango Satyr, der von Eric Satie inspiriert ist, genannt werden. Gerade Zerbes Tango ist ein schönes Beispiel für ein einfaches musikalisches Grundgerüst á la Satie und einer komplexen Ausführungen voller überraschender Momente.

Hannes Zerbe, der im Dezember seinen 78. Geburtstag feiert, spielt die schwierigsten Passagen mit großer Leichtigkeit, völlig unprätentiös, als seien es Fingerübungen aus Czernis Musikschule. Sein Umgang mit der Dynamik ist vorbildlich, nur wenn die Musik es verlangt verstärkt er das Spiel, nie als leere Geste.

Auch im letzten Stück Für Bela (Bartock) zeigen die beiden Musiker ihre Klasse. Jazz, Klassik, Neue Musik, all diese Schubladen spielen keine Rolle. Jügen Kupke und Hannes Zerbe beherrschen diese Genres und überschreiten ihre Grenzen ohne besondere Attitüde, sie machen einfach großartige Musik auf einem unfassbar hohen Niveau.

Die beiden ersten Multiphonics Konzerte im Loft sind echte “Meisterkonzerte“. Ein Abend mit kleinen Formaten und großer Musik. Das Publikum ist begeistert.

Das Klarinetten Festival Multiphonics wird auch im 6. Jahr seinen hohen Qualitätsansprüchen wieder gerecht.