Rezension von Uwe Bräutigam auf nrwjazz.net
Text & Fotos: Uwe Bräutigam
Köln, 21.04.2019 | Ausnahmepianist Simon Nabatov gibt anläßlich seines 60. Geburtstags drei Konzerte im LOFT. Die Reihe hat den Titel: Changing Perpectives und Part One: Time Labyrinth.
Simon Nabatov stellt in dieser Konzertreihe, die mit unterschiedlichen Besetzungen stattfindet, neue Kompositionen vor. Anders als bei seinem Konzert mit der WDR Bigband im Januar im Stadtgarten, will er mit den Kompositionen für diese Reihe für sich musikalisches Neuland betreten.
Für das erste Konzert hat er ein Septett zusammengestellt mit seinem langjährigen Weggefährten Frank Gratkowski an Klarinette, Bassklarinette, Altsaxophon und Flöte. Ein anderer Musiker mit dem er seit vielen Jahren zusammenspielt ist Matthias Schubert am Tenorsaxophon. Am Bass ist Dieter Manderscheid, ebenfalls seit langer Zeit ein musikalischer Gefährte. An der Elektronik sitzt hans w.koch, der seit 2016 Professor für Sound an der Kunsthochschule für Medien in Köln ist. An der Posaune ist Shannon Barnett. Sie gehört zur jüngeren Generation und ist seit April die erste Professorin für Posaune an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. An der Tuba ist Melvyn Poore, bekannt vor allem durch seine Tätigkeit im Ensemble MusikFabrik.
Simon Nabatov hat eine Reihe von Stücken für Septett komponiert, die durchaus ihre Eigenständigkeit haben, aber als zusammenhängende Gruppe eine Form von Suite bilden. Aus diesem Grund gibt es bei dem Konzert keine Pause, sondern alle Stücke werden hintereinander gespielt.
Vorne an der Bühne steht ein Monitor. Simon Nabatov setzt zum ersten Mal einen Computer-Dirigenten ein, für ihn ein ganz neues Verfahren. Es soll ihm die Freiheit geben koordinierte Events in der Partitur flexibel zu vereinen.
Das Konzert beginnt mit Luftgeräuschen der Bläser, einzelne Töne am Piano und kurze Bogenstriche am Bass und dann eine Pause. Das wiederholt sich. Dann entwickelt sich ein intensives Tutti, lange Haltetöne, Abbruch und wieder eine Pause. Die deutlichen Pausen, die sich im Konzert wiederholen sind ein Teil der Auseinandersetzung mit dem Begriff Zeit.
Es sei der Versuch die Zeit, stellenweise etwas zu „bändigen“, sagt Nabatov, sie fast zum Stehen kommen zu lassen und anderswo rasant schnell laufen zu lassen.
Etwa wie im zweiten Stück, bei dem schnelle kurze Sequenzen gespielt werden.
Inspiriert sind diese unterschiedlichen philosophischen Betrachtungen von dem Roman Signor Palomar von Italo Calvino. Mit der Figur des Signor Palomar stellt Calvino viele grundsätzliche Fragen über die Erkenntnisfähigkeit des Menschen, die Grenzen der Vernunft, die wechselseitige Kommunikation von Objekt und Subjekt und vieles mehr. Für Calvino ist es ebenso wie für Nabatov auch ein Rückblick eines gereiften Menschen. Wobei die Komposition sich nicht konkret an den einzelnen Geschichten orientiert, sondern wie Nabatov es formuliert, geht es um Inspiration, Rückblicke oder flüchtige Atmosphäre.
Kommunikative Wechselspiele werden an verschiedenen Stellen des Konzertes musikalisch ausgedrückt. Etwa wenn die Band harte Akkorde perkussiv wiederholt im Wechsel mit Shannon Barnetts Posaune, die ein Melodiefragment spielt. In diesem Stück steht die Posaune dem restlichen Ensemble gegenüber. Im darauffolgenden Stück gibt es Passagen von einem Wechsel von Klaviersolo mit einer Melodie des Ensembles.
Etwas vorher arbeitet Nabatov mit einem Wechsel von lange gehaltenen Tönen und schnellen Phrasen.
Im letzten Stück entwickelt sich aus dem lyrischen Spiel von Nabatov ein Tutti, das sich zu einem Crescendo steigert, auf dessen Höhepunkt Nabatov mit dem Unterarm Cluster anschlägt. Ein furioser Abschluss für ein ungewöhnliches und inspirierendes Konzert, dass Musikern und Publikum einiges abverlangt.
Simon Nabatov beschreitet neue Wege und stellt sich neuen Herausforderungen. Kompositorisch arbeitet er mit Methoden und Techniken aus der sogenannten Neuen Musik.
Simon Nabatov, der an der Klassik geschult ist, den traditionellen Jazz ebenso wie die freie Improvisation der Avantgarde beherrscht, der sich intensiv mit brasilianischer Musik auseinandergesetzt hat, erobert sich nun einen weiteren Bereich der Musik.
Er hat sich wieder neuen Herausforderungen gestellt und sei, wie er es ausdrückt, über eine bestimmte persönliche Schwelle gegangen. „Jetzt habe ich das Gefühl, noch eine Art Musikwelt zu Verfügung zu haben.“
Das Publikum hat das große Glück, diese Eroberung eines neuen Territoriums begleiten zu dürfen. Wir können uns schon auf nächsten beiden Konzerte im LOFT am 27.9. und am 19.12. freuen. Save the Date, es sind besondere Momente auf dem Weg eines großen Pianisten, die hier miterlebt werden können