von Michael Rüsenberg – jazzcity.de
01. Mondegreen (Kaufmann)
02. Lost Gesture/Green Istria
03. Fsinah
04. Heft
05. Nepenthes (Kaufmann, Landfermann, Lillinger)
06. Green Istra reloaded (Kaufmann)
07. Mierenneuker/Quincunx
08. Kabuki Variations
09. Mamonaku
Achim Kaufmann – p, Robert Landfermann – b, Christian Lillinger – dr
rec. 08.07.2017 (1,4,6,8,9>live)
05.-08.07.2017 (2,3,5,7)
Trokaan Press 005
Der Titel des Albums darf Rätsel aufgeben, wohl wahr.
Die Suchmaschinen erzeugen für „Disenjambment“ etliche selbst-referentielle links zum Label, Leo und Linguee kennen den Begriff gar nicht.
Nun denn, wir sind im Jazz, da müssten doch – wenn es mit rechten Dingen zugeht – neue Wortschöpfungen willkommen sein. Bestensfalls legen sie für eine kleine Schar von Menschen guten Willens eine neue Wort/Klang-Verbindung fest.
Aber, sind wir wirklich im Jazz? Trotz der dort bestens vertrauten Namen der Mitwirkenden?
Ein ansonsten geschätzter Kritiker der FR, offenbar genervt von der vergeblichen Suche nach einer Bedeutung des Albumtitels, wirft – trotz positiven Urteils über das Album – vorschnell das Handtuch:
„Als Jazz würde man das nicht unbedingt bezeichnen, dazu ist alles scheinbar zu formlos, zu vieldeutig, rhythmisch zu wenig expressiv.“
Mhm, es sollte einen wundern, wenn es so klänge.
Wirkt hier nicht laut Cover Christian Lillinger mit?
Kann sich jemand an eine Aufnahme mit ihm erinnern, die „rhythmisch zu wenig expressiv“ gewesen wäre? Wäre das nicht ein Widerspruch in sich?
Nein, „Disenjambment“ entpuppt sich vielmehr als eindrucksvolles Beispielt für das, was als Post FreeJazz begrifflich sicher nicht sehr scharf, aber auch nicht chancenlos beschrieben wird.
Der FreeJazz ist als Folie zweifellos vorhanden, aber er wird durch Elemente erweitert, ja kontrastiert, die in den guten alten Zeiten geradezu verpönt waren.
Cover grunenSchon der opener „Mondegreen“ lässt sich damit, aber auch noch mit einem weiteren Gedanken fassen.
Achim Kaufmann beginnt mit leicht dissonanten Akkorden und Linien, die nicht recht erahnen lassen, wohin sie wollen. Bei 1:16 setzen plötzlich Bass & Schlagzeug ein mit einem – nun denn – auch in diesem Kontext durchaus so zu nennenden Groove.
Es ist, als habe der Pianist allein auf einer abgedunkelten Bühne gespielt – und plötzlich gibt grelles Bühnenlicht den Blick auf zwei weitere Akteure frei.
Und das Schöne, in ihrem mächtigen Schub sind Töne enthalten, die sich durchaus zu dem Vorspiel des Pianisten zurückverfolgen lassen.
Anders formuliert: was der gespielt hat, ergibt jetzt erst einen Sinn.
Und wer´s gern ein wenig smart mag (und Daniel Martin Feige´s „Philosophie des Jazz“ gut verdaut hat), der mag hier eine packende Verklanglichung seiner These hören,
„dass die Logik der Improvisation eine Logik der Retroaktion ist“.
„Packend“ ist ein gutes Stichwort. Denn packend geht es weiter. Das 7-Minuten-Stück gibt ein „Thema“ erst bei 4:35 frei.
Wo immer der Bruchpunkt des nächsten Stückes, Doppeltitel „Lost Gesture/Green Istria“, ist, er könnte bei 3:14 liegen. Bis dahin hat das Trio legato in mäßigem Tempo agiert; da wiederholt Kaufmann ein paar Töne, Robert Landfermann kommt mit einem ganz vorsichtig zu nennenden vamp aus der Tiefe, Kaufmann übernimmt ihn teilweise in der linken Hand.
Und beide etablieren hier das Gestaltungsprinzip des Doppelstückes, es heißt: Wiederholung. Repetition von patterns. Das Stück kriegt mehr und mehr Schub & Dramatik. Man fühlt sich mit Stauen erinnert an ein Trio mit verwandter Spielhaltung (Punkt.VRT.Plastik)
Und dann kommt Lillinger!
Mit einem rasenden Lauf über toms und snare. Kaufmann gibt den Specht im Diskant. Landfermann brummt eine Riesen-Kulisse.
Herrschaften, was ist hier los!
Ein jeder weiß: so kann es nicht bleiben. Die Dramatik wäscht aus, das Stück schließt mit einem hohem drone, vermutlich allein von Landfermann´s gestrichenen Kontrabass.
Was für ein Parcours.
Die Idee mit dem vamp gefällt dem Trio offenbar so gut, dass sie sie in track 6 („Green Istria“) noch einmal in anderer Gestalt wiederholen.
„Fsinah“ birgt die nächste Überraschung. Eine frei-metische Kollektiv-Improvisation, wiederum durchlöchert von Wiederholungen, mutiert zur Hälfte in bluesiges Gelände.
Ja, man glaubt geradezu Robert-Glasper-Akkorde zu vernehmen.
Der Jazzpolizei sind deutsche FreeJazz-Recken namentlich bekannt, die dies für ein Sakrileg hielten.
Die Drei von Grünen haben dieses Stück im Oktober 2012 schon einmal aufgenommen (für das Album „Pith & Twig“); jetzt wirkt es … „expressiver“.
Und, welche Gemeinheit für orthodoxe Ohren! Grünen swingt im Intro zu „Kabuki Variations“ in einer sehr speziellen, eigenen Lesart des two beat Rhythmus.
Wie die drei da ´rauskommen, das ist spannend. Oder, wie sie zum Schluß „Manonaku“ über Monk-Gelände kreisen.
Was für ein Hörvergnügen; nicht nur in diesen Tagen, wo viele von uns ein wenig mehr Zeit für Konzentration erübrigen können sollten. Und erst recht nach der Pandemie.
erstellt: 25.03.20
©Michael Rüsenberg, 2020. Alle Rechte vorbehalten