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WDR3 Campus Jazz: Uchronia & Totenhagen

Montag 13. Juni 2016 - 20:30

UCHRONIA:
Salim Javaid – (prepared) alto saxophone
Marlies Debacker – (prepared) piano
Stefan Schönegg – double bass
Dominik Mahnig – drums

TOTENHAGEN:
Laura Totenhagen – voc
Felix Hauptmann – piano
Stefan Schönegg – bass
Anthony Greminger – drums


In UCHRONIA treffen mit der belgischen Pianistin Marlies Debacker, dem tschechisch-pakistanischen Saxophonisten Salim Javaid und der eingespielten Rhythmusgruppe Dominik Mahnig/ Stefan Schönegg (“Die Fichten”, “Young Cologne Trio”, “Botter”) vier sehr unterschiedliche improvisatorische Persönlichkeiten aufeinander. Dadurch vermischt sich Debackers und Javaids düsteres, fast schon klagendes Spiel mit Schöneggs erdigem Minimalismus und Mahnigs energetischem und humorvollem Spiel. Die Musik bewegt sich zwischen streng notierter Musik und freier Improvisation, wobei beide Teile sich ergänzen. So erklingen in den Kompositionen beispielsweise Strukturen und Klänge die sich in der Improvisation nicht umsetzen ließen. Andererseits liefert die Improvisation auch zahllose Momente, die sich wiederum kaum auf Papier festhalten lassen würden. So bleibt es dem Quartett überlassen, welchen der beiden Wege es zum Erzählen einer Geschichte wählt.

Debacker und Javaid treten hierbei als Komponisten auf, und wählen zum Verwirklichen ihrer Kompositionen, welche von Stockhausen, Berio und Berg beeinflusst sind, das Format des Jazzquartetts. Dadurch treffen beispielsweise komplexe Tongruppen und Klangkompositionen auf vertrackte Grooves, pseudo-elektronische Klänge und energetische Kollektiv-Soli.

Der Name UCHRONIA bedeutet „Alternativ-Weltgeschichte“, also ein theoretischer, hypothetischer und alternativer Zeitverlauf unserer Geschichte und Realität.
Vorausgesetzt es gibt eine unendliche Anzahl an Paralleluniversen, so entsteht bei jedem Wurf eines Würfels, jedem Münzwurf, jeder Entscheidung und jedem Zufall eine Verästelung unserer eigenen Realität in mehrere alternative Zeitstränge und ebenso verhält es sich in der Improvisation. Die Auswahl eines Tons oder eines Geräusches aus unendlichen Möglichkeiten hat zur Folge, dass sich eine einzigartige(!) Musik bildet, die in unendlichen Paralleluniversen ebenso unendlich viele Versionen hat. Die Erkenntnis, dass die gehörte und gespielte Improvisation ein Bruchteil der Unendlichkeit ist, hat Folgen für unser Denken. Zum einen mag man bedauern, nur eine einzige Version der Musik jemals zu hören. Zum anderen gibt dies der Musik eine Flüchtigkeit und Fragilität, die sie umso lebendiger und kostbarer macht.


20160613Etwas Geheimnisvolles umweht Laura Totenhagen, ihr Gesicht scheint wie mit einem Schleier verhüllt, der Ausdruck aufmerksam, beobachtend. Sie gibt nicht viel preis, lässt sich nicht lesen wie ein Buch.

Die Tiefe, die sich hinter ihren Augen verbirgt, transportiert Laura Totenhagen durch ihre Kompositionen. Impressionistischer, melancholischer Jazz, getragen vom dunklen Timbre ihrer Stimme, umhüllt vom feinfühligen Spiel ihrer Band.

Totenhagens Musik verkörpert die ständige Aufforderung, zuzuhören. Die Musiker untereinander folgen dieser unausgesprochenen Aufforderung ebenso bereitwillig, wie der Hörer. Die Band lässt der Sängerin viel Raum für ihre charakteristische Stimme, in der man die Kraft von Vorbildern wie Norma Winstone deutlich spürt.

Mit ihrem Quartett vereint die Musikerin die textliche Tiefe einer Jazzsängerin mit der melodiösen Präzision eines Blasinstruments – ihre lupenreine Intonation erlaubt es ihr, sich improvisatorisch keine Grenzen setzen zu müssen.

Geprägt hat sie hierfür ihr musikalisches Doppelleben: In ihrer Jugend wurden Laura Totenhagen zahlreiche Preise als Oboistin verliehen; später kam die Leidenschaft für den Gesang hinzu. Studiert hat sie beides, wurde sowohl ins Bundesjugendorchester als auch ins Bundesjazzorchester berufen und wirkte in beiden Professionen bei Studioproduktionen mit.

Im Hören wächst das Gefühl, etwas erfahren zu haben über Totenhagen, einen geteilten Moment erlebt zu haben. Und doch hält man nur eine Seite des Buchs in der Hand, ein Puzzleteil dieser Tiefe, aber doch ein glaubhaftes Fragment ihrer Persönlichkeit.

© Luis Reichard 2016