Sonntag, 08.11.2015 – jungesloft: First Meetings VOL. 2

 

jungesloft: First Meetings VOL.2 feat. John Ruocco (USA)

John Ruocco (USA) – sax., David Helm – bass, Fabian Arends – drums


© Filip Jacobson
© Filip Jacobson

Ein besonderes Konzert erwartet den Besucher an diesem Tag im Kölner Loft. Dies verrät weder die Besetzungsliste, noch der Titel, denn der Tenorsaxophonist und Klarinettist John Ruocco, in den USA geboren und heute überwiegend in Den Haag wohnhaft, bildet mit Kontrabassist David Helm und Schlagzeuger Fabian Arends ein auf den ersten Blick herkömmliches Trio. Eingeladen im Rahmen der Reihe “First Meetings” soll Ruocco mit den beiden Kölner Musikern seine Musik aufführen.

Besonders ist auf ganz einfache Weise die Musik, für die sich das frühere Mitglied der Herbolzheimer Rhythm Combination & Brass entscheidet: Standards aus dem Great American Songbook. Somit stellt Ruocco bei “First Meetings” ganz gezielt das Herkömmliche in den Mittelpunkt.
Die Arrangements sind klassisch gehalten, die Soli Ruoccos und die Swing Begleitung von Helm und Arends klar vom Klangideal des Bebop geprägt: Soll man so etwas heute überhaupt noch konzertant aufführen? Gehört das nicht als Hintergrundmusik in die Kneipe oder als weiches Bett für endloses Solo-Gedudel spätabends auf die Jazz-Session?

© Filip Jacobson
© Filip Jacobson

Nach einigen Minuten wird klar, dass John Ruocco selbst die Antwort auf diese Frage darstellt. Er scheint mit “It’s you or no one” oder “In your own sweet way” gelebt zu haben, so selbstverständlich spielt und umspielt der Saxophonist die Melodien. Seine Soli klingen, als könnten sie ewig weitergehen: ein unendliches, sich quasi immer neu variierendes Band aus Arpeggien, Sequenzierungen und ausgefallenen Bebop-Lines.
Den Saxophontrichter während des Spielens auf dem Knie abgestellt sieht Ruocco aus, als könnte ihm keine Aufregung der Welt noch etwas anhaben. Nachdem er mit geschlossenen Augen gespielt hat, hört er mit geöffnetem Mund seinen Mitspielern beim Improvisieren zu. Die haben alle Hände voll zu tun, arbeiten unermüdlich daran, dass die meist flott gewählten Tempi frisch bleiben und versuchen, Ruocco durch dynamische Spitzen aus der Komfort-Zone zu locken. Doch auch ihnen bleibt viel Raum für solistische Betätigung: Helm spielt teils sehr lange Soli, die immer virtuos und rhythmisch pointiert gestaltet sind. Er versteht es, in seinen Improvisationen die Aufmerksamkeit durch geschicktes Einsetzen von wiederkehrender Melodik auf sich zu bündeln. Arends kommentiert die durchgehenden Swing-Passagen mit filigranen und rhythmisch aufgebrochenen Soli und großer Dynamikspanne.

Wie auf dem Reißbrett scheint ein Stück Jazzgeschichte vor den Ohren der Besucher ausgebreitet zu sein: Mit einfachen Mitteln arrangiert und mit Hingabe gespielt macht John Ruocco das Great American Songbook lebendig. Durch das fehlende Harmonieinstrument kann man die individuelle Ausgestaltung der Akkorde gerade in Stücken wie “Darn That Dream” genau verfolgen. Ruocco jagt dabei seine Klarinette durch alle Lagen, fast als wollte er sammeln, auf welche Weise ein- und derselbe Grundton harmonisch verziert werden kann.
Hier liegt auch ein Schwachpunkt des Konzerts, denn besonders im zweiten Set werden die nicht enden wollenden Arpeggio-Reihen etwas ermüdend. Hier legen Helm und Arends auch eine Spur zu viel Ehrfurcht an den Tag und warten am Ende der Stücke angespannt, bis Ruocco seine Kadenzen fertig gespielt hat. Der Schlussakkord, von Ruocco deutlich angezeigt, wirkt dann fast ein wenig ironisch.

So bleibt das Konzert im Spannungsfeld der Frage, ob es noch interessant ist, die stilistischen Wurzeln des Jazz konzertant auf die Bühne zu bringen. Der radikale Schritt, Standards ohne eigene Arrangements oder eine freie Interpretationsweise zu spielen, wirkt trotz manchmal fehlender Abwechslung konzeptionell unheimlich stark. Dadurch, und natürlich durch die Bühnen-Persönlichkeit Ruoccos hat die zweite Ausgabe von “First Meetings” etwas Faszinierendes. Helm und Arends haben jedenfalls bewiesen, dass sie Swing und Bebop höchst überzeugend präsentieren und auch einen eingefleischten Jazzveteran wie John Ruocco aus der Reserve locken können.

©Luis Reichard