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Doppelkonzert Tint & Genç // Kanjo & Mainz

Freitag 27. Oktober 2017 - 20:30

Hein Tint – Pat Waing (burmesischer Trommelkreis) / Laia Genç – Piano
Hesen Kanjo – Qanun (orientalische Kastenzither) / Matthias Mainz – Piano, Live-Elektronik


Im Herbst 2017 befindet sich der burmesische Trommelkreis-Virtuose Hein Tint auf einer Europa-Tournee. Aus diesem Anlass veranstaltet die Plattform für Transkulturelle Neue Musik ein Gesprächskonzert mit Hein Tint und der Pianistin Laia Genç und dem Duo Hesen Kanjo/Matthias Mainz.

http://www.info.plattform-tnm.org/ptnm_2017_laborkonzerte_Myanmar.pdf


Laia Genç / Piano
Hein Tint / Hsaing Waing (Burmesischer Trommelkreis)

Das Pat Waing trifft mit dem virtuosen Instrumentalisten Hein Tint auf die deutsch-türkische Pianistin Laia Genc. Das Instrument Hein Tints, ein reichhaltig verzierter Trommelkreis aus 21gestimmten Handtrommeln, ist das Hauptinstrument des Hsaing Waing-Ensembles. Hein Tint gehört zur ersten Generation birmesischer Musiker, die nach der Öffnung des Landes nach jahrzehntelanger Abschottung international wahrgenommen werden und selbst reisen können. Laia Genç reiste auf Einladung des Goethe-Institutes seit 2014 bisher drei Mal nach Myanmar, um dort vor Ort mit Musikern zu arbeiten. Sowohl Hein Tint, als auch Laia Genc komponieren für das Duo und lassen ihre kulturellen Hintergründe in die gemeinsame Arbeit einfließen. Die Musik belebt Welten zwischen traditioneller burmesischer Musik, Jazz, freier Improvisation, song-artigen Strukturen und komplexen Rhythmen auf der Suche nach einem gemeinsamen Klang.


Hesen Kanjo – Kanun (orientalische Kastenzither)
Matthias Mainz – Piano, Live-Elektronik

Hesen Kanjo und Matthias Mainz lösen in ihrem Zusammenspiel melodische und rhythmische Fragmente aus den traditionellen Spielweisen und kommunizieren sie als postmoderne Versatzstücke mit erweiterten Spieltechniken, Improvisation und Elektronischer Musik. Der aus Aleppo stammende syrisch-kurdische Kanun-Virtuose Hesen Kanjo entwickelt und verändert sein Instrument und seine Spielweise beständig, um in der Übertragung feiner Tonfärbungen aus kurdischen Gesangstechniken einen kurdischen Kanunstil zu begründen. Matthias Mainz hingegen ist tief verwurzelt im zeitgenössisch-westlichen Feld zwischen Jazz, Improvisierter Musik und Neuer Musik. In der improvisatorischen Begegnung von Kanjo und Mainz zeigen sich die  Unterschiede der Spiel- und Hörhaltungen auf subtilen Ebenen. Im dritten Raum der gemeinsamen Improvisation vermittelt sich ein Verständnis über die musikalischen Haltungen und Techniken, die dem eigenen Klang und dem des Gegenübers zu Grunde liegen.


Für Interessiert LeserInnen:

Weil wir es in Verbindung mit Myanmar ohnehin gerade nicht aus dem Kopf bekommen: Konzerte mit einem deutsch-burmesischen Musikprojekt und die medial präsente Vertreibung der Rohingya

Das Bild, das die westliche Öffentlichkeit durch die friedliche demokratische Öffnung seit 2010 von Myanmar hatte, wird zur Zeit überschattet von den Berichten über Vertreibung der Rohingya. Der demokratischen Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi, Trägerin des Friedensnobelpreises und zahlreicher internationaler Menschenrechts- und Freiheitspreise und nach Aufhebung ihres 15jährigen Hausarrestes seit 2015 Außenministerin und de facto Regierungschefin, wird inzwischen ihr Schweigen zu den Vertreibungen vorgeworfen. Wer im gegenwärtigen Klima von einem Konzert mit Musikern aus Myanmar liest, wird das vermutlich automatisch auch mit der Menschenrechtssituation verbinden und aber denken, dass die Vertreibungen und die Musik aus Myanmar nichts miteinander zu tun haben. Die interkulturelle Versöhnungsnarrationen, mit denen die Projekte implizit aufgeladen sind und explizit beworben werden, wirken allerdings schal, sobald der Vertreibungskontext hinzugedacht wird. Ich möchte mit diesen Überlegungen auf keinen Fall das aktuelle burmesisch-deutsche Musikprojekt adressieren und die MusikerInnen aus einer vermeintlich politischen Hybris heraus in Verlegenheit bringen. Im Gegenteil geht es mir hier um Überlegungen, die uns selbst – als westliche Akteure, MusikerInnen, Publikum, Veranstalter und Journalisten angehen, weil wir mit unseren Haltungen und Erwartungen an der Gestaltung bilateraler Kulturprojekte mittelbar oder unmittelbar beteiligt sind, die sich ja auch im Innern unter den Begriffen von Integration und Kulturbegriffen verbergen. Und weil das, was uns selbst angeht, die einzige Ebene ist, auf der wir Einfluss nehmen können.

Interkulturelle Musikprojekte sind schon immer auch aufgeladen mit dem Gedanken, Musik sei eine universelle Sprache, die über politische und kulturelle Grenzen hinweg versöhnend und verbindend wirke, was die Musiker gleich mit zu Heilsbringern macht.

Solange keine kulturellen oder kriegerischen Konflikte dazwischen treten, scheinen diese Aufladungen unproblematisch und lassen alle davon profitieren: die Musiker, deren Internationalisierung gefördert wird, das Publikum, dessen exotische Interessen bedient werden und die Politik, deren internationale Beziehungen mit kulturellem Austausch angereichert werden. In dieser Narration droht Musik infantilisiert zu werden: Musik als universelle Kraft, versöhnend und Bücken bauend. Versöhnende Musik ist leicht verständlich, schön, vielleicht rhythmisch anregend usw.. Differenzierungen stören dieses Bild, in dem kulturelle Klischees und Stereotypen eher noch verstärkt werden.

Auf der einen Seite des Spektrums wird die Musik überhöht und mit ihrer Verbindungsmetaphorik für politische Agenden eingesetzt. Die Musiker profitieren, büßen aber einen Teil ihrer künstlerischen Autonomie ein, weil die Narration des Verbindenden komplexere musikalische und kulturelle Zusammenhänge überdeckt. Im politischen Wirkungskontext steht die freundliche Verbindungsmetaphorik im Vordergrund und im Hintergrund die offensichtlichen politischen Kontexte und verborgenen geostrategischen Agenden. Auf der anderen Seite des Spektrum befindet sich eine politische Haltung, die Musik, Musiker und Aufführungskontexte direkt in politische Zusammenhänge rückt und für diese mitverantwortlich macht, so wie jüngst im Fall der Israel-Boykott-Kampagne „Boycott, Divestment, Sanctions“ gegen das Berliner Festival „Pop-Kultur“. Sowohl die Schwarz-Weiß-Logik der Abschottung wie die Überhöhung der Musik verstellen den differenzierten Blick auf Funktion und Wirken von Musik in sozialen und politischen Kontexten, weshalb es besonders wichtig ist, die impliziten Narrationen von Musik, Kultur und Politik zu verstehen.

Unsere Aufmerksamkeit scheint immer nur ein Narrativ zuzulassen – im Fall Myanmars entweder das der friedlichen demokratischen Revolution oder das der ethnischen Vertreibung. Die zum Teil dramatische Situation unterdrückter Minderheiten in Myanmar und vor allem die Vertreibung der  Rohingya war bereits 2010 bekannt, wurde medial und politisch jedoch kaum thematisiert. Auf der Ebene internationaler Politik ist das vielleicht erklärlich, da zu diesem Zeitpunkt die Unterstützung der Demokratisierung Myanmars in Hoffnung auf eine Westbindung des für China wegen der Brückenfunktion zum Golf von Bengalen bedeutenden Landes vermutlich wichtiger schien. Für die Verengung der Wahrnehmung in den internationalen Medien und damit in unseren Köpfen finde ich die Erklärung ebenso unschön: kulturelle Stereotypen und sozial-politisch verengte Narrationen nutzen uns, um uns die Welt einfacher zu machen, erleichtern das Gewissen und die Handlungsfähigkeit. Die westliche Unterstützung der demokratischen Opposition in Myanmar wäre sicher weniger attraktiv gewesen, wenn gleichzeitig auf die ethnischen Spannungen im postkolonialen Vielvölkerstaat berichtet worden wäre, in der die Demokratisierung möglicherweise nur die führende Ethnie betrifft, die in die Unterdrückung und Vertreibung von Minderheiten verwickelt ist.

Neben den gängigen Klischees von Unmittelbarkeit und Ausdruckskraft traditioneller Kulturen spielt in der westlichen Rezeption burmesischer Musik sicherlich auch der Buddhismus der burmesischen Mehrheitsgesellschaft eine große Rolle. Vielleicht erleben die einseitig positiven Zuschreibungen von Friedfertigkeit und Souveränität deshalb gerade eine Enttäuschung durch die Erkenntnis, dass auch im Namen des Buddhismus ethnische und rassistische Vertreibung stattfindet. Die Verengung auf einen vermeintlich ethnisch-religiös fundierten Konflikt kann ihrerseits jedoch auch einen strategischen Hintergrund haben, der sich die aktuellen Stereotypen zu nutze macht, die Islam und Terror stets zusammen denken: die Rohingya siedeln im Süden des Landes und bilden ein Hemmnis im Zugang zum Golf von Bengalen.

Tiefsitzende Klischees des west-östlichen Dialogs implizieren exotistische Bilder vom technisch-industriellen Westen und einer fernöstlicher Kultur mit tiefer Philosophie und fremden Ritualen.

Die Wirklichkeit ist differenzierter und profaner zugleich: Fast zeitgleich mit der politischen und wirtschaftlichen Öffnung Myanmars begannen die kulturpolitischen Initiativen Deutschlands über das Goethe-Institut. Die Auswärtige Kulturpolitik vermittelt Kultur, um das internationale Ansehen der Bundesrepublik zu stärken und um die Vertretung deutscher Interessen im Ausland zu stärken aber eben auch in der Hoffnung, dass Kulturprojekte bei der demokratischen Transformationen in Myanmar durch Netzwerkaufbau etc. unterstützen. Anschluss fanden die deutschen Kulturvermittler in der christlichen Minderheit der Karen und in der traditionellen Musik der Bamar, die als Kultur der weitaus größten gesellschaftlichen Gruppe unter der Militärdiktatur als nationale Musik gefördert und konserviert worden war. Nach der langen kulturellen und wirtschaftlichen Isolation des Landes sehen die jüngeren Musiker nun die Möglichkeit, international wahrgenommen zu werden, neue musikalische Kooperationen einzugehen und professionelle Produktionsbedingungen aufzubauen. Die konkreten Impulse zur Zusammenarbeit der burmesischen und deutschen Musiker gingen aber von der Initiative einer jungen Musikethnologin aus, deren persönliches Interesse an der Kultur des Landes glücklich mit den Interesse des regionalen Goethe-Institutes zusammenfielen.

Auf dieser Ebene, dem Knüpfen persönlicher Netzwerke, getrieben von echtem persönlichen Interessen, entwickeln sich Musikernetzwerke, internationale musikalische Projekte und verbessern sich hoffentlich auch die musikalischen Arbeitsbedingungen in Myanmar.

Auf der praktischen Ebene des Musikmachens finden Austausch und Begegnung jedoch wirklich statt. Vielleicht sollten wir der Versuchung widerstehen, die etablierten harmonisierenden Klischees immer aufs Neue zu behaupten und stattdessen in den Ankündigungen, den Rezeptionen und den künstlerischen Selbstbeschreibungen über das sprechen, um das es uns als Musiker wirklich geht – und die Kontexte klar benennen.

Auf der Ebene der Musik bedeutet das, sie wirklich ernst nehmen und nicht zu behaupten, was gerne gehört werden würde, sondern darüber zu sprechen, was wirklich gehört wird – und damit auch über das zu sprechen, was nicht gehört werden kann: weil der musikalische Herkunftskontext der Musik sich vielleicht gerade nicht in die Philharmonie, den Kammermusiksaal, den Jazzclub oder das Festival übertragen hat und die Hörer vielleicht mehr den Kontext, die Philharmonie hören, als die Musik selbst. Dann kann es auch wirklich interessant und relevant sein, auf welcher Ebene kommuniziert wird zwischen den Partnern: wie die das machen und vielleicht auch, wo es scheitert, welche Grenzen der Kommunikation in der Musik liegen und welche kulturellen Geheimnisse dabei vielleicht sogar glücklich bewahrt bleiben. Vielleicht ist das hörbar oder im Gespräch erfahrbar: Welche Bedeutungen haben die Musiken für die MusikerInnen – und welche Entwicklungen, welche Fortschritte, welche Einflüsse haben sich in der aktuellen Zusammenarbeit ausgewirkt? Welchen Nutzen und welche Hoffnungen verbinden sie damit?

 

Matthias Mainz, Berlin, 20. September 2017